15. Februar 2006
Oberösterreichische Nachrichten
Claudia Werner

FRAGEN AN GOTTFRIED HELNWEIN
Anlässlich der Ausstellung "Face it" im Lentos Kunstmuseum in Linz

"Ich glaube dass alle Arbeiten eines Künstlers im Grunde immer nur um ein einziges zentrales Anliegen oder Motiv kreisen. Und jedes Werk so etwas wie ein neuer, mehr oder weniger erfolgreicher Versuch ist, diesem Grundthema näher zu kommen, es sichtbar zu machen, zu fassen, zu formulieren, obwohl es im Prinzip immateriell ist und daher nicht fassbar ist und keine Form hat.

Der Amerikanische Sammler Kent Logan hat gesagt, dass das zentrale Thema all meiner Abeiten immer das Kind sei, und er hat 2004 eine Ausstellung mit dem Titel "The Child" im San Francisco Fine Arts Museum mit-initiiert, die genau diesen Aspekt in meinem Werk zeigen sollte. Das Konzept war offensichtlich schlüssig, die Austellung wurde von fast 130 000 Besuchern gesehen und der San Francisco Chronicle bezeichnete sie als die wichtigste Ausstellung eines zeitgenössischen Künstlers im Jahr 2004.

Frau Stella Rollig hat aber auf einen zweiten, ebenso wichtigen Aspekt in meiner Arbeit hingewiesen: das Gesicht. Aus dieser Sichtweise sind meine Arbeiten noch nie gezeigt worden, und beim Zusammenstellen der Bilder für diese Ausstellung ist mir selbst erst bewusst geworden, wie wesentlich dieser Aspekt ist, und plötzlich schienen mir meine Arbeiten nur mehr aus Gesichtern zu bestehen."

Sie stellen erstmals im Rahmen einer Großausstellung in Österreich aus. Wie ist – nach so vielen Jahren im Ausland – Ihre Beziehung zu Österreich?

Helnwein: Meine Arbeit ist von den Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend in Wien geprägt, und sie ist zutiefst in der österreichischen Kulturtradition verwurzelt. Das wird sich nie ändern, egal wo immer ich auch lebe. Und ich muss sagen, je weiter und je länger ich von Österreich weg bin, desto leichter fällt es mir, die Qualitäten dieses Landes schätzen.

Die Wahl für Ihre Werkschau fiel aufs Lentos Kunstmuseum Linz. Wie empfinden Sie die Gegebenheiten im Lentos?

Helnwein: Abgesehen von einer Installation in der Dominikanerkirche in Krems 1999, war meine letzte Einzelausstellung in einem österreichischen Museum 1985 in der Albertina. Ich nehme an, dass der Grossteil meiner Arbeiten der letzten 20 Jahre hier kaum bekannt ist. und als Frau Stella Rollig mir anbot, hier auszustellen, war ich sehr froh, denn das Lentos ist derzeit sicher eines der interessantesten Museeen für zeitgenössische Kunst in Europa.

Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem menschlichen Gesicht, das bei der kommenden Ausstellung zum Hauptthema erhoben wird. Menschliche Abgründe, Schmerz, Verletzungen sind dabei die wesentlichen Aspekte. Warum?

Helnwein: Ich glaube dass alle Arbeiten eines Künstlers im Grunde immer nur um ein einziges zentrales Anliegen oder Motiv kreisen. Und jedes Werk so etwas wie ein neuer, mehr oder weniger erfolgreicher Versuch ist, diesem Grundthema näher zu kommen, es sichtbar zu machen, zu fassen, zu formulieren, obwohl es im Prinzip immateriell ist und daher nicht fassbar ist und keine Form hat.

Der Amerikanische Sammler Kent Logan hat gesagt, dass das zentrale Thema all meiner Abeiten immer das Kind sei, und er hat 2004 eine Ausstellung mit dem Titel "The Child" im San Francisco Fine Arts Museum mit-initiiert, die genau diesen Aspekt in meinem Werk zeigen sollte. Das Konzept war offensichtlich schlüssig, die Austellung wurde von fast 130 000 Besuchern gesehen und der San Francisco Chronicle bezeichnete sie als die wichtigste Ausstellung eines zeitgenössischen Künstlers im Jahr 2004.

Frau Stella Rollig hat aber auf einen zweiten, ebenso wichtigen Aspekt in meiner Arbeit hingewiesen: das Gesicht. Aus dieser Sichtweise sind meine Arbeiten noch nie gezeigt worden, und beim Zusammenstellen der Bilder für diese Ausstellung ist mir selbst erst bewusst geworden, wie wesentlich dieser Aspekt ist, und plötzlich schienen mir meine Arbeiten nur mehr aus Gesichtern zu bestehen.

Stehen dabei fotorealistische Darstellungen von Kindern, die in Ihren Werken nie etwas zu Lachen haben, im Vordergrund?

Helnwein: Meine Arbeiten waren nie "fotorealistisch" im Sinne des (amerikanischen) Fotorealismus der 70er Jahre, dazu sind sie zu subjektiv, aber am Beginn des Arbeitsprozesses meiner Bilder steht immer die Fotografie. Ich habe im Laufe der Jahre mit den verschiedensten Techniken und Medien experimentiert und sie miteinander kombiniert, heute sind etwa 50% meiner Arbeiten Mischtechniken auf Leinwand, (vorwiegend Öl und Akryl), und 50% sind Fotografien. Seit ende der 90er Jahre arbeite ich nur mehr mit digitaler Fotografie.

Ich glaube dass man als Künstler nie vollkommen autark und originär sein kann, bis zu einem gewissen Grad wird das Werk immer die Gesellschaft und die Zeit in der der Künstler lebt, reflektieren, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.Und ich habe nicht den Eindruck, dass Kinder in der heutigen Zeit viel zu lachen haben.

In meinen frühen Aquarellen haben sie manchmal noch gegrinst, obwohl ihnen Teile des Gesichtes fehlten, aber das ist lange vorbei.
Peter Gorsen hat das besser formuliert als ich es könnte: "Das Feixen des malträtierten Kindes, ein groteskes Vexierbild, in das Märtyrertum und Subversion der Menschenkreatur gleichermaßen eingeflossen sind, ist ganz allein Helnweins Erfindung. Sie offenbart sich in den vielen Metamorphosen des Phantasmas vom versehrten Körper als obsessives Grundmuster seiner Bildwelt und aktionistischen Darstellungen, als Metapher einer im Innersten des Menschen vorhandenen Unverletzlichkeit und Unbesiegbarkeit. "

Der Dramatiker Heiner Müller stellte einst die Frage: „Wie hält ein freundlicher Mensch wie Gottfried Helnwein es aus, seine – exzellente – Malerei zum Spiegel der Schrecken des Jahrhunderts zu machen? Oder hält Helnwein es einfach nicht aus, das nicht zu tun?“ Speziell Kunstwissenschafter hatten und haben immer wieder Probleme mit der Deutung Ihrer Arbeiten. Was erwartet die Besucher des Lentos?

Helnwein: Warum sollen Kunstwissenschaftler und Kritiker keine Probleme haben? Ich wollte ja ursprünglich gar kein Maler werden, aber irgendwann habe ich eingesehen, dass Kunst wahrscheinlich die einzige Möglichkeit ist, sich gegen die Zumutumgen der Gesellschaft zu wehren und zurückzuschlagen. Kunst war für mich immer in erster Linie eine Waffe.

Was fasziniert Sie an Kunst? Welchen Stellenwert messen Sie ihr in unserem Alltag bei?

Helnwein: In unserem materialistischen Zeitalter misst kaum noch jemand der Kunst eine grössere Bedeutung zu, und dabei könnte keine menschliche Gesellschaft ohne sie existieren. Stellen Sie sich doch bitte einmal die Geschichte der Menschheit vor und subtrahieren Sie alles was mit Kunst zu tun hat: Musik, Literatur, Architektur, Malerei, Skulptur, Design, Mode, Tanz, Theater und Film. Was bliebe über? Es gäbe gar keine Geschichte, weil wir jede Epoche immer mit einer bestimmten Ästhetik verbinden, -Ägypten, Rom, die Renaissance, Barock - ohne Pyramiden, Tempel, Paläste und Dome, ohne Shakespeare, Michelangelo und Mozart? Auch Religion ohne Kunst und Zeremoniell wäre nicht möglich, denn sie wäre völlig abstrakt, und ohne irgend eine Form von Ästhetik für Menschen gar nicht erfahrbar. Nicht einmal ordentliche Kriege wären möglich, weil es ja nichts zu zerstören und zu plündern gäbe.