Anlässlich der Ausstellung "Face it." - von Gottfried Helnwein
im Lentos Museum for Modern Art Linz
März 2006

Thomas Edlinger im Gespräch mit Gottfried Helnwein:

 

Glauben sie an so etwas wie das "echte" Bild?

Helnwein: Ich weiss nicht genau, was Sie unter "echt" verstehen. Wenn "echt" - wahr, wirklich, real, authentisch, original, unverfälscht bedeuten soll, kann ich nur auf Margrittes Position verweisen: „Dies ist keine Pfeife“ („Ceci n'est ps une pipe“) Die eine Wirklichkeit des Bildes ist ihre materielle Existenz: Leinwand, Farbpigment-Partikel und Bindemittel, Fotopapier und Emulsion, oder Licht projeziert auf ein reflektierendes Objekt etc. die andere Wirklichkeit des Bildes ist immateriell: eine Illusion, zB. die Vortäuschung von 3 -Dimensionalität: von Objekten, Räumen, Personen, oder Ereignissen, Geschehnissen, wobei ein Bild auf den Betrachter genauso intensiv einwirken kann wie ein "tatsächliches" Ereignis: Es kann eine zutiefst emotionale Reaktion oder Betroffenheit hervorrufen, es kann erschrecken, verunsichern, Ärger oder Empörung hervorrufen, oder belustigen, stimulieren, erregen, verführen.

Manchmal können Bilder einen stärkeren und nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als ein "tatsächliches" Ereignis, wobei es für die meisten Menschen oft schwer ist, präzise zwischen "tatsächlich" Erlebtem und dem, durch Reproduktion oder Abbildung eines Geschehnisses Erfahrenen, zu unterscheiden.

Der grösste Teil von dem was wir Erfahrung, Erlebnis, Realität, Wissen nennen, geht in Wahrheit auf Abbilder und Reproduktionen (angeblicher) Ereignisse zurück. Und obwohl Inhalt und Form eines Bildes wilkürlich und unbegrenzt geformt und manipuliert werden können, wird Bildern in der Regel ein hohes Mass an Authentizität oder Autorität zugemessen.

In vielen Kulturen hat das Bild sogar eine magisch/spirituelle Bedeutung, die dem eigenen Erleben und der physikalischen Wirklichkeit übergeordnet sind. (Ägypten, Röm. katholische Kirche, Stalinismus, Nationalsozialismus, Maoismus, CNN etc.) Für den Künstler kann das Bild eine Möglichkeit sein, die "Wirklichkeit" in Frage zu stellen, und in der heutigen suggestiven kommerziellen Bilderflut einen Störfaktor darzustellen,
eine neue Sicht auf vertraute Dinge zu ermöglichen und Erkenntnisprozesse auszulösen.

Picasso hat gesagt: Wir alle wissen, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge die uns die Wahrheit erkennen lässt" (We all know that art is not truth. Art is a lie that makes us realize the truth.)


Geht es Ihnen in ihren Isnzenierungen auch um eine Rettung des künstlerischen Bildes bzw. um eine Re-auratisierung des Bildes im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit?

Helnwein: Am Beginn meiner künstlerischen Arbeit habe ich angenommen, dass im Zeitalter der Reproduzierbarkeit die "Aura" eines Bildes keine Bedeutung mehr hat. Ich war von den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Reproduktions- und Kommunikationstechniken begeistert, und habe das Original eine zeitlang nur als Zwischenprodukt ("Edelabfall") im Reproduktionsprozess betrachtet.

Ich habe mit den veschiedensten Techniken und Medien exprimentiert und sie oft in unorthodoxer Weise verwendet (Fotografie, Malerei, Zeichnung, Printtechniken, Collagen, und die verschiedensten Formen von "Mixed Media").

In meinen Ausstellungen habe ich in den letzten Jahren jedoch bemerkt, dass für viele, die meine Arbeiten aus Büchern oder dem Internet sehr gut kannten, die Begegnung mit dem Original eine völlig neue, oft intensivere und emotionalere Wahrnehmung des Bildes darstellte. Zum einen spielen sicherlich die unterschiedlichen Dimensionen eine Rolle, da manche Bilder klein-und mittelformatig, viele Arbeiten aber monumental, überlebensgross sind. Zum anderen spielt die stoffliche Oberflächenbeschaffenheit eine Rolle. (In der Reproduktion sind ja alle Arbeiten,
sowohl was die Grösse als auch die Oberflächenbeschaffenheit betrifft, gleich und gewissermassen elektronisch sterilisiert)

Dazu kommt nun bei meinen Arbeiten allerdings noch ein (durchaus gewollter) Verunsicherungsfaktor: Oft halten Betrachter meine sehr realistisch gemalten Bilder für Fotos und andererseits grossformatige Digital-Prints für Gemälde, oder sie rätseln, um welche Technik es sich bei einer Arbeit eigentlich handelt.

Für mich sind alle Techniken und Medien im Prinzip gleichberechtigte Mittel, um bestimmte künstlerische Inhalte zu vermitteln. Für die meisten Betrachter scheint es jedoch von ausserordentlicher Wichtigkeit zu sein, zu wissen, ob das Bild gemalt oder fotografiert ist, wobei in der Regel der Malerei ein höherer künstlerischer Wert, und der Fotografie ein höherer dokumentarischer Wert beigemessen wird. Ich habe mittlerweile auch den Eindruck, dass ein Bild durch den malerischen Prozess eine schwer zu beschreibende, spirituelle Qualität (eine Aura) bekommen kann, die nur dem Original eigen ist, und nicht reproduziert werden kann.

Anfangs war ich mir gar nicht sicher, ob meine Bilder hier in Amerika in der Welt der elektronischen special effects, und der ununterbrochenen Konsum-Propaganda noch eine Funktion haben, oder überhaupt wahrgenommen werden würden. Letztes Jahr hatte ich eine Ausstellung im San Francisco Fine Arts Museum mit dem Titel „The Child“, die von ca 130 000 Menschen gesehen wurde. Die Reaktion der Leute war überwältigend und hat mich vollkommen überrascht. Ich hab noch nie so bewegende und emotionale Reaktionen auf meine Arbeit erlebt. Manchmal haben mich Besucher spontan umarmt, und immer wieder haben mir Leute (sinngemäss) gesagt;“Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wie wichtig es ist, dass Sie diese Arbeiten gerade jetzt hier zeigen“.

Welche (auch digitalen) Bildbearbeitungs- und Retouchier möglichkeiten benutzen Sie und warum?

Helnwein: Ich unterscheide zwischen rein Fotografischen Arbeiten, (die oft über viele Stationen und Quellen über -Collage und , Computerbearbeitung zum endgültigen print führen) und Mixed Media Arbeiten, die im Wesentlichen Öl- und Acryl Gemälde sind, aber im Prinzip einen ähnlichen Entstehungsprozess haben, wie die Fotos.

Sobald ich das gewünschte Bild habe, wird es entweder auf die Leinwand projeziert und in Umrissen nachgezeichnet, oder in grober Form digital auf die Leinwand geprintet und danach in "altmeisterlicher" Methode, zuerst in Acryl und danach in Öl, in vielen Schichten gemalt und verändert, weiterentwickelt und verfeinert.

Die dargestellten Personen, Objekte und Räume in meinen Bildern stammen aus den verschiedensten Archiven (L.A.Public Library, Bayrisches Staatsarchiv etc..) aus Zeitschriften, Zeitungen, Büchern und von Menschen, Gegenständen und Orten, die ich selbst fotografiere. Meine Bilder stellen oft etwas dar, das aussieht wie der eingefrorener Augenblick irgendeines Dramas, das nicht sichtbar ist, und dessen Ausgang offen ist. Es ist am Betrachter diesen Moment, den das Bild darstellt, zu deuten und und den Rest der Geschichte zu ergänzen.