Thomas Edlinger im Gespräch mit Gottfried Helnwein:
Glauben sie an so etwas wie das "echte" Bild?
Helnwein: Ich weiss nicht genau, was Sie unter "echt" verstehen. Wenn
"echt" - wahr, wirklich, real, authentisch, original, unverfälscht
bedeuten soll, kann ich nur auf Margrittes Position verweisen: „Dies ist
keine Pfeife“ („Ceci n'est ps une pipe“) Die eine Wirklichkeit
des Bildes ist ihre materielle Existenz: Leinwand, Farbpigment-Partikel und
Bindemittel, Fotopapier und Emulsion, oder Licht projeziert auf ein reflektierendes
Objekt etc. die andere Wirklichkeit des Bildes ist immateriell: eine Illusion,
zB. die Vortäuschung von 3 -Dimensionalität: von Objekten, Räumen,
Personen, oder Ereignissen, Geschehnissen, wobei ein Bild auf den Betrachter
genauso intensiv einwirken kann wie ein "tatsächliches" Ereignis:
Es kann eine zutiefst emotionale Reaktion oder Betroffenheit hervorrufen, es
kann erschrecken, verunsichern, Ärger oder Empörung hervorrufen, oder
belustigen, stimulieren, erregen, verführen.
Manchmal können Bilder einen stärkeren und nachhaltigeren Eindruck
hinterlassen als ein "tatsächliches" Ereignis, wobei es für
die meisten Menschen oft schwer ist, präzise zwischen "tatsächlich"
Erlebtem und dem, durch Reproduktion oder Abbildung eines Geschehnisses Erfahrenen,
zu unterscheiden.
Der grösste Teil von dem was wir Erfahrung, Erlebnis, Realität, Wissen
nennen, geht in Wahrheit auf Abbilder und Reproduktionen (angeblicher) Ereignisse
zurück. Und obwohl Inhalt und Form eines Bildes wilkürlich und unbegrenzt
geformt und manipuliert werden können, wird Bildern in der Regel ein hohes
Mass an Authentizität oder Autorität zugemessen.
In vielen Kulturen hat das Bild sogar eine magisch/spirituelle Bedeutung, die
dem eigenen Erleben und der physikalischen Wirklichkeit übergeordnet sind.
(Ägypten, Röm. katholische Kirche, Stalinismus, Nationalsozialismus,
Maoismus, CNN etc.) Für den Künstler kann das Bild eine Möglichkeit
sein, die "Wirklichkeit" in Frage zu stellen, und in der heutigen
suggestiven kommerziellen Bilderflut einen Störfaktor darzustellen,
eine neue Sicht auf vertraute Dinge zu ermöglichen und Erkenntnisprozesse
auszulösen.
Picasso hat gesagt: Wir alle wissen, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist
eine Lüge die uns die Wahrheit erkennen lässt" (We all know that
art is not truth. Art is a lie that makes us realize the truth.)
Geht es Ihnen in ihren Isnzenierungen auch um eine Rettung des künstlerischen
Bildes bzw. um eine Re-auratisierung des Bildes im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit?
Helnwein: Am Beginn meiner künstlerischen Arbeit habe ich angenommen,
dass im Zeitalter der Reproduzierbarkeit die "Aura" eines Bildes keine
Bedeutung mehr hat. Ich war von den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten
der Reproduktions- und Kommunikationstechniken begeistert, und habe das Original
eine zeitlang nur als Zwischenprodukt ("Edelabfall") im Reproduktionsprozess
betrachtet.
Ich habe mit den veschiedensten Techniken und Medien exprimentiert und sie oft
in unorthodoxer Weise verwendet (Fotografie, Malerei, Zeichnung, Printtechniken,
Collagen, und die verschiedensten Formen von "Mixed Media").
In meinen Ausstellungen habe ich in den letzten Jahren jedoch bemerkt, dass
für viele, die meine Arbeiten aus Büchern oder dem Internet sehr gut
kannten, die Begegnung mit dem Original eine völlig neue, oft intensivere
und emotionalere Wahrnehmung des Bildes darstellte. Zum einen spielen sicherlich
die unterschiedlichen Dimensionen eine Rolle, da manche Bilder klein-und mittelformatig,
viele Arbeiten aber monumental, überlebensgross sind. Zum anderen spielt
die stoffliche Oberflächenbeschaffenheit eine Rolle. (In der Reproduktion
sind ja alle Arbeiten,
sowohl was die Grösse als auch die Oberflächenbeschaffenheit betrifft,
gleich und gewissermassen elektronisch sterilisiert)
Dazu kommt nun bei meinen Arbeiten allerdings noch ein (durchaus gewollter)
Verunsicherungsfaktor: Oft halten Betrachter meine sehr realistisch gemalten
Bilder für Fotos und andererseits grossformatige Digital-Prints für
Gemälde, oder sie rätseln, um welche Technik es sich bei einer Arbeit
eigentlich handelt.
Für mich sind alle Techniken und Medien im Prinzip gleichberechtigte Mittel,
um bestimmte künstlerische Inhalte zu vermitteln. Für die meisten
Betrachter scheint es jedoch von ausserordentlicher Wichtigkeit zu sein, zu
wissen, ob das Bild gemalt oder fotografiert ist, wobei in der Regel der Malerei
ein höherer künstlerischer Wert, und der Fotografie ein höherer
dokumentarischer Wert beigemessen wird. Ich habe mittlerweile auch den Eindruck,
dass ein Bild durch den malerischen Prozess eine schwer zu beschreibende, spirituelle
Qualität (eine Aura) bekommen kann, die nur dem Original eigen ist, und
nicht reproduziert werden kann.
Anfangs war ich mir gar nicht sicher, ob meine Bilder hier in Amerika in der
Welt der elektronischen special effects, und der ununterbrochenen Konsum-Propaganda
noch eine Funktion haben, oder überhaupt wahrgenommen werden würden.
Letztes Jahr hatte ich eine Ausstellung im San Francisco Fine Arts Museum mit
dem Titel „The Child“, die von ca 130 000 Menschen gesehen wurde.
Die Reaktion der Leute war überwältigend und hat mich vollkommen überrascht.
Ich hab noch nie so bewegende und emotionale Reaktionen auf meine Arbeit erlebt.
Manchmal haben mich Besucher spontan umarmt, und immer wieder haben mir Leute
(sinngemäss) gesagt;“Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wie wichtig
es ist, dass Sie diese Arbeiten gerade jetzt hier zeigen“.
Welche (auch digitalen) Bildbearbeitungs- und Retouchier möglichkeiten
benutzen Sie und warum?
Helnwein: Ich unterscheide zwischen rein Fotografischen Arbeiten, (die oft über
viele Stationen und Quellen über -Collage und , Computerbearbeitung zum
endgültigen print führen) und Mixed Media Arbeiten, die im Wesentlichen
Öl- und Acryl Gemälde sind, aber im Prinzip einen ähnlichen Entstehungsprozess
haben, wie die Fotos.
Sobald ich das gewünschte Bild habe, wird es entweder auf die Leinwand
projeziert und in Umrissen nachgezeichnet, oder in grober Form digital auf die
Leinwand geprintet und danach in "altmeisterlicher" Methode, zuerst
in Acryl und danach in Öl, in vielen Schichten gemalt und verändert,
weiterentwickelt und verfeinert.
Die dargestellten Personen, Objekte und Räume in meinen Bildern stammen
aus den verschiedensten Archiven (L.A.Public Library, Bayrisches Staatsarchiv
etc..) aus Zeitschriften, Zeitungen, Büchern und von Menschen, Gegenständen
und Orten, die ich selbst fotografiere. Meine Bilder stellen oft etwas dar,
das aussieht wie der eingefrorener Augenblick irgendeines Dramas, das nicht
sichtbar ist, und dessen Ausgang offen ist. Es ist am Betrachter diesen Moment,
den das Bild darstellt, zu deuten und und den Rest der Geschichte zu ergänzen.