October 2012
Deutsche Zeitung
Mexiko

„Meine Kunst schockiert nicht, die Welt tut es“

Er sitzt vor seiner Leinwand im Museum San Carlos. Darauf liegt ein Kind, das schaut. Kein Blut, kein Grauen. Ein blondes Kind mit unschuldigem Blick. Und doch verstört sein Blick, trifft den Zuschauer ins Herz. Gottfried Helnweins Blick verstecken die getönten Gläser seiner Sonnenbrille. Sein Haar zähmt ein schwarzes Bandana, auf dem Totenköpfe tanzen. Die silbernen Ringe an seinen Fingern blitzen im künstlichen Licht des Ausstellungsraums. Ein eitler Rockstar auf Pressekonferenz, könnte man meinen, bis der 64-Jährige zu erzählen beginnt.

Herr Helnwein, was hat sie dazu bewegt, in Mexiko auszustellen?

Das war ein alter Traum von mir, ich wollte immer schon einmal hier ausstellen, weil mich die Geschichte und Kunsttradition Mexikos interessieren, und vor allem die narrative, expressive und politische Malerei. Diese Idee, dass man mit bildender Kunst direkt zu den Menschen spricht, auch zu den einfachen Menschen, fasziniert mich.

Wie, glauben Sie, wird das mexikanische Publikum auf ihre Ausstellung reagieren?

Für mich ist es immer spannend, meine Arbeit in verschiedenen Ländern zu zeigen, weil die Reaktionen unterschiedlich sind. Schon vorher habe ich viele Reaktionen und e-mails aus Mexiko bekommen. Ich habe das Gefühl, dass vielen in Mexico meine Bildsprache vertraut ist, sie können gut damit umgehen können.

Ihre Ausstellung trägt den Titel „Fe, esperanza, caridad“. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Es ist selten, dass ich meinen Ausstellungen einen Titel gebe. Das erste Mal war in San Francisco, da nannte ich sie "The Child“ und merkte, dass die Betrachtung der Leute völlig anders war, dass ein Titel etwas bewirkt. Er soll nichts erklären, sondern fügt lediglich eine andere Dimension, eine zusätzliche Idee hinzu. Das hilft, das Bild mit anderen Augen zu sehen. "Glaube, Liebe Hoffnung", ist ein altes, ein religiöses Konzept, das jeder kennt. Wenn man dann durch die Ausstellung geht und meine Bilder betrachtet, wird man so vielleicht Dinge bemerken, die man sonst nicht gesehen hätte.

Wie würden Sie Ihre Kunst beschreiben?

Ich versuche das gar nicht, das sollen andere machen. Die Kunst selbst beschreibt die Weltsicht des Künstlers. Das ist der Ausdruck von dem, was ich mitteilen will, womit ich gerade ringe.

Viele Ihrer Bilder zeigen Kinder, oft mit provokantem Ausdruck. Welche Rolle nehmen sie in Ihrem Werk ein?

Kinder waren von Anfang an mein zentrales Thema. Im Zuge meiner Recherchen habe ich Polizeifotos von missbrauchten und getöteten Kindern gesehen, die sich tief bei mir eingeprägt hatten.
Es war mir immer unbegreiflich, wie jemand Gewalt ausüben kann, gegen jemanden der so zerbrechlich und völlig wehrlos ist.

Ich wollte mich auf die Seite der Kinder stellen und die Welt durch ihre Augen sehen.
Ich habe bei meinen eigenen Kindern beobachtet, dass es in der frühen Kindheit eine Phase gibt in der Imagination und geistige Kreativitat grenzenlos zu sein scheinen. Picasso sagte: 'Jedes Kind ist ein Künstler, es ist nur schwer einer zu bleiben, wenn man Erwachsen wird..'
In dieser Zeit ist dem Kind sein eigenes inneres Universum viel realer als die Aussenwelt die es umgibt. Es ist dann zu einer Begeisterung und scheinbar grenzenlosen Fröhlichkeit fähig, die für einen Erwachsenen gar nicht mehr nachvollziehbar ist.
Als ich mit 5 Jahren mein erstes Micky Maus Heft aufgeschlagen habe, war dies für mich eine Epiphanie, ich betrat eine mir völlig neue, dreidimensionale, phantastische Welt. Ich nahm das erste mal bewusst Farben wahr und ich erlebte in mir eine Kettenreaktion an Sinneswahrnehmungen.
Es war der Ausbruch aus der der engen, dunklen und depressiven Erwachsenenwelt der Wiener Nachkriegszeit, die mich bis dahin fest im Würgegriff hatte. Ich konnte wieder atmen, ich war in meiner Heimat Entenhausen angelangt.
Das war meine erste Begegnung mit großer Kunst.

In Ihren Bildern schaffen sie neue Welten. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Aus dem Leben. Damien Hirst hat einmal gesagt, beim Kunstmarkt gehe es um Geld, bei der Kunst um das Leben. Ich habe mich immer für Letzteres interessiert.
Jede relevante Kunst wird eine Antwort auf das Leben und die Gesellschaft sein, die den Künstler umgibt.

Als Kind hatte ich stets den Eindruck, dass alle Erwachsenen hinter der Fassade ihrer Alltagsgesichter, tief unglücklich waren und unter irgendetwas leideten.

Im Prinzip war die Welt für mich von klein auf eine Provokation und Zumutung und. Kunst wurde für mich die einzige Möglichkeit mich zu wehren, zurückzuschlagen.

Sehen Sie sich heute auch als leidenden Erwachsenen?

Ich bin im Wien der Nachkriegszeit geboren. Es war eine Welt des Stillstands und der Resignation. In meiner Erinnerung ist alles dunkel, eng und schwer, die Menschen bewegten sich in Zeitlupe. Ich habe niemals jemanden lächeln gesehen oder singen gehört, die Erwachsenen um mich herum erschienen mir alle hässlich und grantig und ich wusste nur eines mit Sicherheit, dass ich da nicht sein wollte.

Was ich damals nicht wusste, war, dass die Generation meiner Eltern gerade einen Weltkrieg verloren hatte, der 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hat und dass sie eben versucht hatten, jedes jüdische Leben auf dem Kontinent auszulöschen.
Ich ahnte, dass irgendetwas geschehen war, dass so gross und unbegreiflich war, dass niemand darüber sprechen konnte, und ich war besessen von der Idee herauszufinden was es war.
Als ich später die Kriegsverbrecher Prozesse verfolgte, und sah, wie Männer, die in KZs mit eigenen Händen unzählige Menschen zu Tode gequält hatten, freigesprochen wurden, da ja die Richter und Staatsanwälte ebenfalls Ex-Nazis waren, kam es bei mir zu einem Bruch mit der Welt meiner Vorfahren. Ich sah nicht wie nach diesen Ereignissen irgendein Rechtssystem möglich sein konnte.

Die einzige Möglichkeit mich dieser Thematik zu nähern mit ihr umzugehen, erschien mir die Kunst. Also wurde ich Künstler. Nicht aus ästhetischen, sondern aus humanitären Gründen.

Das war der Grund, weshalb Sie Künstler geworden sind?

Ich war 18, als ich beschloss Künstler zu werden.
Davor sah ich keinen Platz für mich in der Gesellschaft. Ich konnte zwar immer gut zeichnen, aber Künstler wollte ich nie werden, die Vorstellung, ein Leben lang mit Rauschebart vor einer Staffelei zu stehen und irgendwelche abstrakten Bilder zu malen, erschien mir grauenhaft. In meinen Tagträumen in der Schule sah ich mich eher als Revolutionsführer, der das ganze System zum Einstürzen brachte.

Doch irgendwann sah ich dass nur die Kunst blieb, der letzte Freiraum, den es in unserer Gesellschaft gibt, in dem man keine Autoritäten akzeptieren muss und in dem man sich frei ausdrücken kann.
Ich ging also auf die Akademie der Bildenden Künste in Wien gegangen, wo ich die ersten Jahre wie ein autistisches Kind vor mich hin malte, ich bin nie zu Vorlesungen gegangen und nutzte die Institution nur, um einen eigenen Arbeitsplatz zu haben. Ich arbeitete für mich, und hatte nie vor, meine Kunst auszustellen oder zu verkaufen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Ausstellungen?

In den frühen 70er Jahren, als ich noch Aquarelle malte, stellte ich in der Galerie im Pressehaus Wien aus. Bereits nach einigen Tagen wurde ich aufgefordert, meine Bilder wieder abzuholen, da die Ausstellung vorzeitig abgebrochen wurde.
In dem Gebäude in dem die Redaktionen aller grossen Tageszeitungen untergebracht waren, kam es wegen meiner Ausstellung zu einem Aufstand der Angestellten. Sie drohten sogar mit einem Streik, sollten die Bilder nicht verschwinden. Ich war erstaunt, dass meine kleinen Aquarelle im Stande waren soviel Aufregung zu verursachen.
Als ich meine Arbeiten abholen wollte, sprach mich ein bekannter Journalist der konservativen Tageszeitung "Die Presse" an, er regte sich schrecklich über meine 'perverse' Kunst auf, und dass er nicht mehr schlafen könne,da er die Bilder meiner verwundeten Kindergesichter nicht mehr aus dem Kopf kriegen könne.

Ich fragte ihn ob er Soldat gewesen sei, er bejahte das und auf meine Frage ob die Dinge, die er da gesehen habe, ihn um seinen Schlaf brächten, sagte er nein, es sei eben Krieg gewesen. Ich fragte ihn dann weiters, ob die Fotos und Berichte von Greueltaten, mit denen er als Journalist ja täglich konfrontiert sei, auch nicht aus seinem Kopf kriegen könne. Er sagte, er hätte kein Problem damit, das sei eben sein Beruf.
Dann sagte ich: "Ist es nicht interessant, dass Sie all die wirklichen Katastrophen unberührt lassen, während meine Aquarelle, die aus nichts als dünnem Papier und winzigen Mengen Farbpigmenten bestehen, die Macht haben, Ihnen den Schlaf zu rauben?"
In diesem Moment erkannte ich, dass es nicht meine gemalten Bilder waren, die die Leute aus der Fassung brachten, sondern Ihre eigenen Bilder in ihren Köpfen.

 

Marylin Manson hat über Ihre Arbeit gesagt: Ein Künstler, der nicht provoziert, wird unsichtbar. Kunst, die keine starken Reaktionen auslöst, hat keinen Wert. Worin liegt für Sie der Wert Ihrer Kunst?

Relevante Kunst muss eine Qualität haben: Sie muss im Stande sein ein menschliches Wesen zu berühren, zu bewegen, eine emotionale Wirkung auszulösen, auch wenn dieses Wesen nicht die geringste Ahnung von Kunsttheoie hat.

Sie schockieren also, um zu berühren?

Es ist die Welt, die Gesellschaft, die mich schockiert, meine Arbeit ist nur die Antwort darauf.

 

Gottfried Helnwein in Mexiko:

„Fe esperanza caridad“ – Eine Retrospektive im Museum San Carlos
„Santos Inocentes“ – Helnweins Blick auf Mexiko. Installation am Monumento a la Revolución, noch bis zum 13. Januar 2013.
„El canto de la Aurora“ – Helnweins aktuelles Werk in der Galerie Hilario Galguera, noch bis zum 05. Januar 2013.