Sie kehrten Österreich, wo Sie in den späten 70er, frühen
80er Jahren so etwas wie ein Popstar waren, den Rücken. Und doch waren
Sie nie ganz weg.
Helnwein: Was mir mein Verhältnis zu Österreich ermöglicht, ist
die Distanz. Nur aus der Distanz kann ich die Qualitäten dieses Landes
schätzen. Das könnte ich nicht, wenn ich hier leben müsste. Ich
wollte eigentlich immer schon weg. Ich wollte übrigens auch nie Künstler
werden. Die Vorstellung mit Rauschebart und Baskenmütze vor einer Staffelei
zu stehen und abstrakte Bilder zu malen, schien mir eine denkbar schlechte Lösung
zu sein. Aber irgendwann ich musste erkennen, dass ich überhaupt keine
andere Chance habe. Weil alles, was ich ausdrücken, mitteilen will, wogegen
ich mich wehren will, nur durch Kunst möglich ist. Und so war es auch mit
Österreich: Ich wollte immer weg – und habe es lange nicht geschafft.
Weil das Land eine Gravitation hat, die einen nicht leicht auslässt. 1985,
gleich nach der Albertina-Ausstellung, bin ich schließlich doch weg.
Dennoch kehren Sie plötzlich wieder – mit einer Ausstellung im Lentos.
Helnwein: Weil mich Stella Rollig, die Direktorin, angerufen hat. Da ich das
Lentos für ein wirklich wichtiges und interessantes Museum für Gegenwartskunst
halt, habe ich zugesagt. Die Ausstellung bietet die Gelegenheit, etwas von dem
zu zeigen, was ich in den letzten 20 Jahren gemacht habe.
Sie thematisierten früher die Gewalt, zum Beispiel in der Familie,
den Nationalsozialismus, die Einsamkeit, den Schmerz. In den frühen 80er-Jahren
haben Sie auch die Covers für die Platten von Franz Morak gemalt.
Helnwein: Wir sehen uns manchmal immer noch. Er hat mich in Los Angeles besucht
– als Kunststaatssekretär mit Entourage – und er war auch einmal
in Irland. Ich schätze ihn, weil er ein intelligenter und kritischer Geist
ist.
Und nun malen Sie auch irische Landschaften. Das klingt nicht nach Helnwein.
Helnwein: Mein Werk ist widersprüchlich, es hat Brüche. Und ich mache
Sprünge. Ich kann gar nicht anders. Ich muss immer etwas riskieren, etwas
Neues ausprobieren. Ich glaube mein Problem ist, dass ich zuviel wahrnehme,
und sehe. Manchmal wäre es mir lieber ich müsste vieles nicht sehen.
Meine Arbeit ist für mich die einzige Möglichkeit auf den Wahnsinn
zu reagieren der sich um uns abspielt.
Und deshalb bin ich auch nach Los Angeles gegangen - ich wollte ganz nah dran
sein und den Verfall unserer Welt dort erleben wo es am extremsten ist. Da ist
der Schwerpunkt meiner Arbeit, Aber nach einiger Zeit ist mir bewusst geworden,
dass ich im Innern zutiefst europäisch bin und dass mir dieses Europa fehlt.
Irgendwann habe ich beschlossen, mit meiner Familie nach Irland zu gehen. Ich
wusste so gut wie nichts von dieser Insel. Es war Winter als wir ankamen, und
hat es hat gestürmt und geregnet, und wir sind in irgendwelchen schäbigen
kleinen Hotels gelandet, wo es nach Torffeuer stank, und wir haben uns sofort
in dieses Land verliebt.
Seitdem ist es meine Gegenwelt zu L.A. und ich habe mein inneres Gleichgewicht
wieder hergestellt. Wir sind da vor allem in den Sommermonaten, umgeben von
einer unglaublichen Landschaft. Ich dachte immer an David Caspar Friedrich.
Und ich wollte plötzlich Landschaften malen. Ich war schon immer fasziniert
von der Ästhetik des späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, und
ich dachte mir: Etwas von diesem Geist – aber aus der Sicht der Gegenwart,
mit dem Wissen über die Fotografie. Und ich war überrascht vom Ergebnis
des ersten Versuchs. Daher habe ich parallel zu meinen Arbeiten, die die menschliche
Existenz thematisieren, diese panoramaartigen Landschaften gemalt.
Sie stellen einen Gegensatz zu Ihrem anderen Werk dar: In ihnen gibt es
keine Menschen. Eine Form von Fugitismus?
Helnwein: Ja, normalerweise geht es mir immer um den Menschen. In den Landschaften
hingegen gibt es nicht einmal Spuren von Menschen. Weil ich alles aus dem Bild
rausschmeiße, was an Menschen erinnert. Es ist doch so: Der Natur täte
es besser, wenn es keine Menschen gebe. Woran ich mich erst später erinnert
habe: Ganz am Anfang, noch bevor ich auf die Akademie der bildenden Kunst kam,
habe ich schon Landschaften gemalt. Der Geist der Romantik hat mich damals wirklich
fasziniert – neben Rock’n’Roll und Comics und Street Art.
Die gegenständliche Malerei war viele Jahre nicht hoch angesehen. Jetzt
gibt es wieder eine Trendumkehr hin zu einem neuen Realismus. Fühlen Sie
sich in Ihrem Weg bestätigt?
Helnwein: Die Kunstwelt funktioniert seit den 80er Jahren wie ein Stock Market.
Trends werden ausgerufen – und wieder für tot erklärt.
Aber nun ist alles möglich. Man hat die freie Wahl des Stils, der Technik,
des Themas. Im 20. Jahrhundert musste man ein Tabu nach dem anderen brechen,
jetzt gibt es keine Barrieren mehr: Der Künstler kann aus allen Möglichkeiten
auswählen. Als ich Student war, hieß es, dass nur abstrakte Kunst
wirkliche Kunst sei. Realismus sei Kitsch. Ich wurde daher bekämpft, beschimpft,
verachtet. Aber das hat mich nicht beeinflusst: Mir war von Anfang an klar,
dass ich nur an Realismus interessiert bin. So gesehen bin ich jetzt einer der
Väter des neuen Realismus.
Da alle Tabus gebrochen wurden: Vermögen Sie mit Ihren Kompositionen
noch immer zu verstören?
Helnwein: Ich denke doch. Ohne es darauf anzulegen. Jede Form von Kunst kann
etwas auslösen. Beim Betrachter oder Zuhörer werden emotionale Bereiche
geöffnet, von denen er gar nicht wusste, dass es sie gibt. Ich bin immer
wieder überrascht: Die Menschen sind verletzt, verwirrt, fühlen sich
bedroht durch ein Stück Pappe mit ein paar Milligramm Farbe darauf. Sie
wissen sogar, dass das, was sie auf meinen Bilder sehen, Fiktion ist. Und trotzdem:
Im Fernsehen können sie gefolterte, tote Menschen anschauen, ohne ein Problem
damit zuhaben. Von einer Leinwand hingegen werden sie aus der Bahn geworfen.
In Amerika haben die Menschen noch weit mehr Probleme mit Bildern, die von Schmerz,
Verwundung oder Sexualität handeln. Da merkt man eben, dass die USA ein
puritanisches, bilderfeindliches Land sind. Dank der katholisch-barocken Bilderorgie
der Gegenreformation ist Österreich vergleichsweise begnadet mit Toleranz.
Wie können Sie dann überhaupt in Los Angeles leben?
Helnwein: Es ist der beste Platz für meine Arbeit. Ich bin besessen von
der Idee herauszufinden in welcher Welt ich lebe. Ich beschäftige mich
täglich mit Geschichte, Philosophie und Politik.
Diese Suche nach der Wirklichkeit rührt von der Kindheit her, als ich bemerkte,
dass ich ununterbrochen angelogen wurde. Ich kratze immer an der Oberfläche,
und will wissen was sich darunter verbirgt , ich will es genau wissen.. Deshalb
lebe ich in Los Angeles, in dieser extremen Stadt. Denn wir leben in einer Endzeit.
Das Abendland geht langsam zu Grunde. Und die Mächtigen setzen alles daran,
diesen Prozess abzukürzen. Ich will diesen Untergang zumindest mit offenen
Augen erleben. Ich will nicht als Volltrottel sterben. Sondern mit Würde.