17. Februar 2006
Der Wiener
David Baum

GESPRÄCH MIT GOTTFRIED HELNWEIN

"Los Angeles ist für mich der beste Ort an dem ich je gearbeitet habe, - ich habe mich noch nie so frei gefühlt. Diese Stadt ist ein Moloch in dem 140 verschiedene ethnische Gruppen leben und in der jede Form von Religion existiert, die der Mensch je erfunden hat, von der Church of Satan bis zu den Chassidischen Juden, die am Shabbat wie ihre gallizischen Vorfahren mit riesigen Pelz-Rädern und Kaftanen angetan mit ihren Kindern unter Californischen Palmen spazieren gehen. Es gibt die Viertel der Reichen, in denen man all die erstaunlichen Mutanten bewundern kann, die die chirurgische Schönheits-Industrie erschaffen hat, und ganze Strassenzüge in Downtown, in denen tausende Obdachlose leben, die nichts anderes als ein Stück Pappe zum Schlafen haben, wo Tag und Nacht verlorene Seelen, mit sich selbst schimpfend und wild gestikulierend, durch die Strassen irrlichtern.

Diese Stadt ist wie eine offene Wunde, die niemand zu verbinden versucht. Sie ist der äusserste Vorposten einer untergehenden Zivilisation, und wenn Sie die unkaschierte Version der westlichen Welt "Now" sehen wollen, dies ist der Ort. Manchmal komme ich mir vor wie in ",Blade Runner", wo der Zusammenbruch aller Werte eine neue comic-haft, apokalyptisch-surreale Ästhetik gebiert."


Editorial

Nach gut 20 Jahren im Exil kehrt Österreichs international vielleicht bekanntester lebender Künstler wieder in seine Heimat zurück. Nur für eine Ausstellung zwar, aber immerhin. Gottfried Helnwein hatte sich mit seinen verstörenden Werken hierzulande bald den Titel "Schockmaler" erarbeitet und wurde damit in einer Schublade abgelegt, aus der es scheinbar kein Entkommen mehr gab. Vielleicht mit ein Grund weshalb er seine Zelte in Österreich abbrach, um im Ausland sein Glück zu versuchen. Auch wenn er weiterhin mit seinen Bildern, Installationen oder Fotografien schockiert - die Welt sieht in Helnwein einen Künstler. Einen ganz grossen sogar.

Ab 10. März behängt das Lentos-Museum seine Wände mit der umfassendsten Helnwein-Werkschau, die es in Österreich je zu sehen gab, und in diesem "Wiener" finden Sie eine kleine Auswahl seiner Arbeiten sowie ein grosses Interview mit dem Meister.

Peter Mosser



Als Sechsjährigeriger haben Sie Donald Duck und Mickey Mouse bewundert. Beide Disney-Figuren haben mittlerweile in Ihr Werk Eingang gefunden. Verstörend, ganz in schwarzer Maske oder völlig wahnsinnig und bissig. Was würde der sechsjährige Gottfried Helnwein zu diesen Bildern gesagt haben?

Helnwein: Als fünfjähriger habe ich zum ersten mal heiligen Entenhausener Boden betreten, und es war Donald der meine kindliche Seele vor der der ewigen Verdammnis gerettet hat. Unterstellen Sie mir aber bitte nicht, dass ich jemals Micky Maus bewundert hätte.

Micky ist keine wirkliche Person, sondern ein Markenzeichen, ein Symbol für Walt Disneys Fantasie-Imperium und als solches ist es Teil der (amerikanischen) Weltkultur geworden. Warhol und viele andere Künstler haben sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt, und in Ihrer Kunst verarbeitet. In dem Projekt "The Golden Age of Grotesque" habe ich mit Manson auch eine "Black Mickey"-Serie entwickelt. Er wollte dieses Image als Cover seines neuen Albums verwenden, was von seiner Plattenfirma aber strikt abgelehnt wurde, weil sie die Bilder wahrscheinlich als Sakrileg betrachtete und Angst vor den Anwälten des Disney-Konzerns hatte. Walt Disneys Tochter Diane und ihre Kinder sahen diese Arbeiten übrigens später in meiner Ausstellung "The Child" im San Francisco Fine Arts Museum und hatten nicht die geringsten Probleme damit.

Sie haben einmal gesagt, Sie hätten lieber einen Gott, der aussieht wie Donald Duck, als einen der aussieht wie Adolf Hitler. Sind das die beiden einzigen Alternativen für das Aussehen Gottes?

Helnwein: Dieses Zitat bezog sich auf die Fragwürdigkeit des aus der griechischen Klassik hergeleiteten Menschenbildes und meine Überlegungen zu den Mängeln der Schöpfung, vor allem in Bezug auf den Menschen, wo offensichtlich einiges in die Hose gegangen zu sein scheint. Ich wurde damals zum Gottesbegriff befragt, und gab meiner Skepsis Ausdruck, sofern man von den Ebenbildern auf das Original schliessen müsste.
Meinem Herzen näher liegt da schon das neue Menschenbild der Visionäre Disney und Barks: Donald Duck.

Donald ist die Ankündigung und Ahnung einer neuen Zeit. Seine Form ist aus dem Idealen geometrischen Prinzip der Kugel, abgeleitet. Es gibt keine Ecken und Kanten, alles an Donald ist rund und weich und fließend. Und obwohl er eher an eine Ente erinnert, verkörpert er das ideal-Menschliche doch bei weitem mehr als seine unglückseligen Vorgänger.

Sind Sie sicher, dass Gott existiert?

Helnwein: Natürlich, - die Existenz Donalds steht ausser Zweifel.

Inwieweit hat es Sie selbst und Ihre Arbeit verändert, dass Sie selbst zu einem richtigen Star aufgestiegen sind? (Bitte nicht leugnen!)

Helnwein: Mick Jagger hat einmal gesagt: "Im nächsten Leben wäre ich gerne ein Maler, da kann man weltberühmt sein und keiner erkennt einen auf der Strasse."

In der Renaissance waren Maler Superstars, - Schauspieler und Musikanten wurden damals hingegen eher am unteren Ende der Gesellschaft angesiedelt - zusammen mit Gauklern, und Akrobaten. Heute ist es ganau umgekehrt, (Film-)Schauspieler und Musiker sind die Stars, die Bildenden Künstler spielen dagegen keine grosse Rolle mehr und gehören eher der Freak-Abteilung an. Ich habe Österreich 1985 verlassen und wundere mich, dass sich hier überhaupt noch jemand an mich erinnert.

Ihre persönliche Freundschaft mit Marylin Manson ist legendär wie sieht das aus, mit einem so extremen Menschern befreundet zu sein?

Helnwein: Manson ist ein äusserst intelligenter, unruhiger, sensibler und poetischer Geist. Er arbeitet grenzüberschreitend mit den unterschiedlichsten Medien und ist mit seiner Kunst nicht richtig einzuorden. Das macht ihn für viele suspekt und ausserdem führt er sich häufig auch noch ungehörig auf, was ihm natürlich sehr viel Missfallen einträgt. Mir ist das alles sehr vertraut und für mich ist er wie ein Bruder.

Wie findet Manson es, dass sein guter Freund Gottfried, gleichzeitig ein guter Freund des Republikaners Arnold Schwarzenegger ist?

Helnwein: Manson interessiert sich nicht für Politik.

Sie haben die Geburtsszene Jesu Christi in Nazi-Umgebung gesetzt? - was über das Moment der Verstörung hinausgehend wollen Sie damit sagen?

Helnwein: Das Bild heisst "Epiphanie", und stellt die Anbetung der Könige dar, ein Thema, das seit Jahrhunderten von unzähligen Künstlern immer aufs neue interpretiert wurde. Ich wollte diese Geschichte aus der Sicht des ausgehenden 20ten Jahrhunderts darstellen. Das ist alles was ich dazu sagen kann, denn ich versuche niemals meine Arbeiten zu erklären.

Wenn die Witwe eines SS-Offiziers gegen eine Ausstellung eines Bildes vorgeht, weil sie ihren Mann darauf entdeckt haben will, ist damit ein Ziel erreicht, die Intention des Bildes bestätigt?

Helnwein: Einige Personen auf dem Bild stammen aus einem historischen Foto aus dem Bayrischen Staatsarchiv, das den gealterten Führer in seinen letzten Tagen im Bunker darstellt, wie er von einer Gruppe junger SS-Offizieren umringt ist.

Die besagte Witwe hat mir über ihre Anwälte und die Medien mitteilen lassen, dass Sie mich verklagen würde, wenn ich nicht das Antlitz Ihres Mannes, des SS-Obersturmbandführers Max Wünsche, aus meinem Bild entfernen würde. Sie fürchtete, durch meine Arbeit könnte der Eindruck entstehen, ihr Mann sei ein Rassist gewesen. Genau so hat sie es formuliert. Ausserdem hat sie noch darauf hingewiesen, dass ihr Mann nach dem Krieg eine sehr erfolgreiche Karriere bei Siemens gemacht hätte, und dass sie immer noch sehr mächtige Freunde hätte. Ich hätte mir diesen Prozess sehr gewünscht, aber ihre Anwälte haben ihr offensichtlich letzlich davon abgeraten.

Wie weit ginge Ihr künstlerischer Mut: Würden Sie etwa nach dem bestehenden Rummel, auch einen Mohammed in einem Werk zeigen? Wann muss für Sie der Respekt vor Religiösem, Persönlichem oder einer Minderheit als wichtiger angerechnet werden, als das Recht der freien Gestaltung? Machen Sie sich solche Gedanken?

Helnwein: Das Hauptproblem das ich mit diesen Karikaturen habe ist, dass sie von untalentierten Leuten für ein rechtsradikales Hetzblatt gemacht wurden. Natürlich bin ich für totale Meinungsfreiheit, (die es leider sowieso nirgends gibt), aber mit Freiheit kommt immer auch Verantwortung, - Sollten wir wieder Juden in "Stürmer"-Manier karikieren, nur um zu beweisen, dass wir absolute Pressefreiheit haben?

Wie stark ist Ihr Sendungsbewusstsein in politischer Hinsicht. Ihre geschundenen Kinderkörper, die mitunter bekanntesten Bilder, die sie geschaffen haben, wie stark geht es darin um konkrete Probleme auf die Sie aufmerksam machen wollen?

Helnwein: Ich wollte ursprünglich gar kein Künstler werden, aber mir ist irgendwann klar geworden, dass ich nirgends in diese Gesellschaft hineinpasse, und dass Kunst die einzige Möglichkeit war das zu artikulieren und mitzuteilen, was mir wichtig erschien. Und ich erkannte auch, dass es eine Möglichkeit war sich zu wehren, zuruckzuschlagen.

Ihre Bilderwelten sind schockierend, aufwühlend und teils finster. Wie sind Ihre Kinder im jüngsten Alter damit umgegangen? Mussten Sie sie vor Papas Werken fernhalten? Oder haben Sie sie bewusst konfrontiert.

Helnwein: Ich habe nie irgend etwas von meinen Kindern ferngehalten, sie sind praktisch im Atelier aufgewachsen und und dachten immer, das sei alles ganz normal. Meine Kinder hatten absolute Freiheiten. In Erinnerung an meine eigene schreckliche Zeit als Schüler, habe ich ihnen zum Beispiel immer wieder vorgeschlagen, doch einfach der Schule fernzubleiben und sich einen guten Tag zu machen, seltsamerweise gingen sie aber ganz gern in die Schule. Die meiste Zeit lebten mindestens 10 Kinder auf unserem Anwesen in Deutschland, weil es bei uns so lustig war. Das alles ist natürlich nicht ohne Folgen geblieben, denn sie sind alle Künstler geworden.

Ihre Familie ist ein regelrechter "Kunstverein"geworden. Cyril fotografiert selbst, Mercedes schreibt Gedichte und zeichnet, Ali komponiert - Wie sehr haben Sie die Talente Ihrer Kinder gefördert? oder sind Sie davon eher überrascht worden?

Helnwein: Wir haben immer wie eine Zigeunerfamilie gelebt. - Und es ging bei uns immer nur um Kunst. Wir haben uns eine zeitlang irgendwo niedergelassen, und dann sind wir wieder weitergezogen. Heute sind meine Kinder erwachsen und Cyril, der älteste hat selbst schon ein Kind, trotzdem leben wir immer noch zusammen. Es ist mir bis heute einfach nicht gelungen meine Kinder loszuwerden. Die Wintermonate verbringen wir nun in Los Angeles, und den Sommer in Ireland. Und aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Schlösser äusserst vorteilhaft sind, wenn man so viele Leute unterbringen muss.

Viele Künstler in Österreich, Hermann Nitsch, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Thomas Bernhard - lebten und leben in einem permanenten Klima der Anfeindung. Ist diese negative Stimmung aus Ihrer Sicht auch ein Humus für dortige Kultur?

Helnwein: Der Künstler wird, ob er will oder nicht, immer der natürliche Gegenspieler der bürgerlichen Gesellschaft sein, die ja nur eines fürchtet: jede Form von Veränderung. Und so unbequem und nervend Künstler auch manchmal sein können, so sind sie doch äusserst wichtig für jede Gesellschaft, da ohne sie alles erstarren würde.

Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Österreich? Betrifft Sie dieser Staat überhaupt noch? Oder noch härter formuliert: Haben Sie noch so etwas wie ein heimatliches Zugehörigkeitsgefühl zu dem Land?

Helnwein: Natürlich ist meine Arbeit geprägt von meinen Erfahrungen in Wien, und in der österreichischen Kulturtradition tief verwurzelt. Aber ich muss sagen, je länger und je weiter ich weg bin von Österreich, desto leichter fällt es mir die Qualitäten dieses Landes zu schätzen.

Hat die Loslösung vom örreichischen und deutschen Kulturbetrieb Ihre Arbeit verändert? Und wie hoch ist der Anteil dieser Loslösung an Ihrem internationalen Erfolg?

Helnwein: Los Angeles ist für mich der beste Ort an dem ich je gearbeitet habe, - ich habe mich noch nie so frei gefühlt. Diese Stadt ist ein Moloch in dem 140 verschiedene ethnische Gruppen leben und in der jede Form von Religion existiert, die der Mensch je erfunden hat, von der Church of Satan bis zu den Chassidischen Juden, die am Shabbat wie ihre gallizischen Vorfahren mit riesigen Pelz-Rädern und Kaftanen angetan mit ihren Kindern unter Californischen Palmen spazieren gehen. Es gibt die Viertel der Reichen, in denen man all die erstaunlichen Mutanten bewundern kann, die die chirurgische Schönheits-Industrie erschaffen hat, und ganze Strassenzüge in Downtown, in denen tausende Obdachlose leben, die nichts anderes als ein Stück Pappe zum Schlafen haben, wo Tag und Nacht verlorene Seelen, mit sich selbst schimpfend und wild gestikulierend, durch die Strassen irrlichtern.

Diese Stadt ist wie eine offene Wunde, die niemand zu verbinden versucht. Sie ist der äusserste Vorposten einer untergehenden Zivilisation, und wenn Sie die unkaschierte Version der westlichen Welt "Now" sehen wollen, dies ist der Ort. Manchmal komme ich mir vor wie in "Blade Runner", wo der Zusammenbruch aller Werte eine neue comic-haft, apokalyptisch-surreale Ästhetik gebiert.

Bei einem Interview, das Ihr Sohn Cyril mit Marylin Manson geführt hat, fragt er ihn: Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass heute ihr letzter Tag im Leben sei. Manson sagt darauf: wenn es ein guter Tag wäre, würde ich einfach hier mit meiner Katze rumsitzen. Mit wem würden Sie im Falle dessen am liebsten rumsitzen?

Helnwein: Ich hätte gerne ein letztes Abendmahl - mit meiner Familie, meinen Tieren und meinen Freunden: Deix, Donald, Tick, Trick und Track, Manson, Sean, Keith, Elvis, Arnold, Marlene, Walt, Carl und all den Anderen.